Nach meiner Ankunft mit Amtrak erst mal mit dem Taxi zu meiner Gastgeberin Jennifer (Ich hatte ein Privatquartier via Airbnb gebucht). Ein hübsches Zimmer in einem von vielen Jahren gezeichneten Haus. Jennifer macht einen sehr freundlichen und hilfsbereiten Eindruck. Ich wollte nicht in irgend einem Hotel absteigen, sondern suchte eine neue Erfahrung, die mich näher zu den Menschen vor Ort führt. Ich bin ziemlich müde. Es reicht daher nur noch für einen kleinen Spaziergang im Quartier. Die Gegend heisst Riverbend Nook und liegt am Rand des Garden District. Restaurants und Geschäfte aus aller Herren Länder, prächtige Häuser, eine Allee mit alten Bäumen, dazwischen die Schienen der Streetcars – ruhig und behäbig. Ich habe es nicht schlecht getroffen, glaube ich. Zurück in meinem Zimmer lasse ich in Gedanken die Bahnfahrt hierher revue passieren. Etwa 1500 km und 22 Stunden Fahrt liegen hinter mir. Mit dem Flugzeug wäre das viel schneller gegangen. Mir wären aber viele eindrucksvolle Bilder und einige interessante Begegnungen entgangen. Die vorbei gleitenden Landschaften und Ortschaften vermitteln ein Gefühl für die Entfernung, ganz anders als das hastige jetten von Ort zu Ort – für mich eine Erfahrung echten Reisens. Die Langsamkeit hat ihre eigene Qualität – wahrer Luxus in unserer hektischen und schnelllebigen Zeit.
Mit dem Streetcar in die Stadt
Erst mal mit dem Streetcar in die Stadt. Diese sehr alten, und liebevoll restaurierten Bahnen rumpeln gemächlich durch die Strassen. Sie sollen mein bevorzugtes Verkehrsmittel in den nächsten Tagen werden.
Schiebefenster statt Klimaanlagen sorgen für Frischluft und Kühlung. Sitzbänke aus Mahagoni vermitteln ein Gefühl vom südlichen Lebensstil vergangener Tage. Die Antriebs- und Steuerungstechnik stammt aus den 1930er Jahren und funktioniert immer noch tadellos. Wir durchqueren den Garden District, das Wohnquartier der wohlhabenden Bürger mit seinen eindrucksvollen Häusern und Gärten aus verschiedenen Epochen der Stadtgeschichte. Danach geht es Richtung Canal Street. Endstation. Luxushotels, Geschäfte aller Preisklassen, Souvenierläden, Restaurants – nicht sehr speziell. Es könnte auch in irgend eine andere Grossstadt sein. Ich wandere die Canal Street einmal rauf und runter – Ich hab’s gesehen. Zurück in mein Zimmer – Siesta – Erholung.
French Quarter
French Quarter, die Touristenmeile in New Orleans. Es werden vielfältige «Guided Tours» angeboten. Ich hingegen lasse mich nicht gerne führen, folge lieber meiner eigenen Nase, lasse mich überraschen.
Die historische Bedeutung, wer was wann und warum gebaut hat, wer hier einmal gelebt hat, hat für mich wenig Bedeutung. Ich bin gekommen, um den Geist der Stadt zu spüren, nicht um mich mit Namen und Jahreszahlen vollstopfen zu lassen. Es gibt unzählige Ecken, Hinterhöfe, Gassen, die einen Blick wert sind. Die Bourbon Street oder Royal Street mit ihren stattlichen, meist gut erhaltenen und wohl restaurierten Häusern aber auch die kleineren Gassen mit weniger prächtigen und weniger so gut erhaltenen Bauwerken, die Menschen in den Strassen und Gassen, vermitteln mir ein Gefühl für die Stadt.
Später, am Abend verwandelt sich das French Quarter in einen gigantischen Animier- und Vergnügungspark. Restaurants bieten Creole- und Cajun- Spezialitäten an. Bars mit Lifemusik: Jazz, R&B, Rock – nicht besonders originell, dafür sehr laut. Leicht bekleidete Damen werben für erotische Darbietungen. Man trägt T-Shirts mit mehr oder weniger zweideutiger Aufschrift. Alkoholische Getränke in Strömen. Vergnügen mit aller Gewalt – wenigstens einmal im Leben. New Orleans – The Big Easy gilt seit je her als Ort der Zügellosigkeit und des Lasters. Ich erinnere mich an einen Rat eines Mitreisenden im Zug: «Pass auf dein Portemonnaie auf!». Das ist definitiv nicht meine Welt. Ich ziehe mich lieber an das Ufer des Mississippi zurück und geniesse noch für einen Moment das nächtliche Panorama.
French Market
Alles, was man nicht wirklich braucht:
Louis Armstrong Park
Der Park ist den Ursprüngen des Jazz und seinen Künstlern gewidmet:
Steamboat Natchez
Mississippi Raddampfer – der letzte mit Dampfantrieb – klassischer Schwermaschinenbau:
Jazz
Hier in New Orleans ist vor gut 100 Jahren die Musik entstanden, die wir heute als Jazz kennen. Die afrikanischen Rhythmen des Congo Square, die melancholischen Gesänge der Sklaven – der Blues, Minstrel, Ragtime, europäische Marschmusik und viele andere Einflüsse in diesem Schmelztiegel der Kulturen waren die Wurzeln des Jazz. Ich bin hierher gekommen, um herauszufinden, was aus diesen Wurzeln gewachsen ist, ob vom ursprünglichen Geist des Jazz noch etwas zu spüren ist. Ich hatte befürchtet, stumpfsinnige, verstaubte Reproduktionen der alten Musik zu hören. Die wenig originellen und vor allem lauten Darbietungen im nächtlichem French Quarter bestätigten mein Vorurteil.
Jennifer, meine Gastgeberin, gab mir dann entscheidende Hinweise. Am Ende des French Quarter, jenseits der Esplanade Avenue, wo nur noch wenige Fremde hin kommen, gäbe es noch ursprüngliche, lebendige Musik zu hören. Ihr spezieller Tipp: Snug Harbor Jazz Bistro ein Konzert von Charmaine Neville. Charmaine stammt aus dem Neville Clan, einer Musiker Familie seit Generationen, bekannt unter Anderem durch die Neville Brothers – Musikalisches Urgestein aus New Orleans. Ich lasse mich gerne überraschen!
Besonders in Erinnerung geblieben ist mir ein Lied über den Hurrikan Kathrina, die Flucht, die Trennung von Familie und Freunden und die Rückkehr nach Jahren in der Fremde – sehr emotional. Der Geist des Jazz lebt weiter! Aus den alten Wurzeln entspringt Neues in vielen Variationen.
Noch ein Tipp von Jennifer: Die Radiostation WWOZ widmet sich der Geschichte des Jazz und allem, was daraus hervorgegangen ist.